Führung

Vertrauen im Unternehmen und wertschätzende Kontrolle

Vertrauen ist in einer digitalen und flexiblen Arbeitswelt ein zentraler Wettbewerbsvorteil. Denn: Kontrollen durch Führungskräfte wirken sich in vielerlei Hinsicht negativ auf die Unternehmensentwicklung aus. Trotzdem setzen viele Unternehmen auf eine durch Kontrollen und Monitoring gekennzeichnete Kultur. Deswegen soll es hier darum gehen, mutiger zu sein und öfter zu vertrauen – fast überall und fast jedem.

Artikel erschienen auf Campusjäger

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – oder nicht?

Diesem traditionellen Führungsverständnis folgen auch im 21. Jahrhundert noch viele Unternehmen und Führungskräfte. So gehört eine auf Vertrauen basierte Arbeitsgestaltung für viele Arbeitnehmer noch nicht zum Alltag. Oft wird dabei vergessen: Das Menschenbild hinter dieser Annahme stammt aus Zeiten des Taylorismus – also dem frühen 20. Jahrhundert – und ist überholt. Damals wurde angenommen, dass der Mensch eine starke Hand braucht, die ihn leitet und kontrolliert, um ihn zu Höchstleistung zu motivieren – und so im Endeffekt den Unternehmenserfolg zu steigern. Im modernen und digitalen Zeitalter ist dieses Menschenbild überholt – und das nicht nur aus rein menschlicher, sondern auch aus ökonomischer Sicht. Verhaltensökonomische Erkenntnisse zeigen, dass Menschen die ihnen gewährten Freiräume und Autonomie nur sehr begrenzt ausnutzen. Im Gegenteil: In der Regel verhalten sie sich vertrauensvoll, kooperativ und achten auf Fairness.

Eine Vielzahl empirischer Studien zeigt, dass Menschen nicht nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. So bevorzugt die Mehrheit der Menschen die Kooperation, auch wenn sie durch Defektion und Nicht-Kooperation ihren eigenen monetären oder persönlichen Nutzen erhöhen könnte. In diesem Zusammenhang führten wir Experimente mit 282 Studierenden aller Fachrichtungen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren durch. Es wurde festgestellt, dass die Nachwuchsführungskräfte im Durchschnitt vertrauensvoll und vertrauenswürdig sind. Sie kooperieren und sind durchaus bereit, Geld, Informationen und Güter mit anderen Personen zu teilen – sich also fair verhalten. Diese sozialen Präferenzen wurden in vielen weiteren psychologischen und ökonomischen Experimenten gleichermaßen identifiziert und stehen im Gegensatz zu den Annahmen über den eigennutzorientierten Mitarbeiter. Dies gilt im übrigen auch für die Mitarbeiter großer DAX-Unternehmen, die sich in ähnlichen Experimenten ganz ähnlich verhalten haben.

Diese Ergebnisse machen Mut. Denn sie zeigen, dass anderen Menschen vertraut werden kann, weil sie nicht per se Situationen für den eigenen Vorteil ausnutzen. Vertrauen lohnt sich also fast immer und bringt einige Vorteile mit sich.

Die Vorteile von Vertrauen im Unternehmen

Vertrauen im Unternehmen wirkt sich direkt und/oder indirekt auf den Unternehmenserfolg aus. Ganz direkt: Wer vertraut, muss nicht kontrollieren. Unternehmen profitieren zuallererst davon, dass weder Zeit noch Geld in Kontrollsysteme gesteckt werden muss. Konkret kann das heißen, dass es nicht das teure Zeiterfassungssystem mit Fingerabdruck sein muss. Stattdessen reicht eine einfach Excel-Tabelle, die jeder Mitarbeiter selbständig ausfüllt – auch wenn die nicht auf die Minute genau geführt wird. Führungskräfte sollten sich auch nicht damit beschäftigen, jeden Schritt und Tritt ihrer Mitarbeiter zu überwachen. Die täglichen Arbeitszeiten müssen nicht täglich kontrolliert werden. Wenn überhaupt, reicht einmal im Monat ein kurzer Blick drauf. Bei deutlichen Plus- oder Minusstunden können in einem persönlichen Gespräch die Gründe und Lösungen diskutiert werden.

Und die indirekte Wirkung? Fühlen sich Mitarbeiter nicht wie im Überwachungsstaat, kommen sie auch gerne zur Arbeit. Sie sind motivierter, kommunizieren offener und arbeiten zielorientierter. Denn es müssen nicht mehr hunderte Spielregeln und Tabus beachtet werden, sondern sie können sich auf das eigentliche Unternehmensziel konzentrieren. Und das fördert letztlich die Wettbewerbsfähigkeit.

Zusammengefasst:

  • Kontrollaufwand wird geringer: Das senkt Kosten für Kontrollsysteme und spart Führungskräften Zeit
  • Offenere Unternehmenskommunikation: Mitarbeiter bringen gerne Ideen und Vorschläge ein
  • Geförderte Wettbewerbsfähigkeit: Durch die gesteigerte Produktivität können sich Unternehmen besser auf dem Markt behaupten
  • Zielorientiertes Arbeiten: Mitarbeiter sehen nicht mehr nur Hindernisse, sondern können uneingeschränkter auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten
  • Höhere Mitarbeitermotivation: Wer nicht pausenlos kontrolliert wird, ist zufriedener mit der Arbeit

Doch wenn dem so ist, warum orientieren sich dann viele Führungskräfte immer noch am Bild des „faulen“ Mitarbeiters, der im Homeoffice sicher nicht an dem längst überfälligen Projekt arbeitet, sondern den nächsten Urlaub plant?

Woher kommt das Misstrauen?

Vertrauensexperimente zeigen, dass Menschen anderen Personen in der Regel zu wenig vertrauen und sich selbst für vertrauenswürdiger als andere Personen halten. Dies könnte ein Indiz dafür sein, weshalb es vielen Unternehmen schwer fällt, eine echte Vertrauenskultur zu etablieren. Ein Grund dafür ist, dass Menschen, deren Vertrauen einmal missbraucht wurde, dies als besonders schmerzhaft wahrnehmen. Sie erinnern sich viel häufiger an enttäuschtes Vertrauen als an die vielen Situationen, in denen zu Recht vertraut wurde. Mit Kontrollen wird versucht, diese negativen Erfahrungen zukünftig zu vermeiden. Dieses Misstrauen hat aber soziale und ökonomische Nachteile, die sich auch auf die Arbeit auswirken können. Das zeigen auch Langzeitstudien: Menschen die in ihrer Kindheit anderen Menschen grundsätzlich erst einmal vertrauen, sind Jahrzehnte später erfolgreicher, glücklicher und verfügen über ein höheres Einkommen – und dies gilt auch, wenn alle anderen Einflussfaktoren kontrolliert werden.

Welche Nachteile entstehen durch Misstrauen im Unternehmen?

Unternehmen, die auf Monitoring und Kontrollen setzen, kämpfen mit mehr Komplexität, Konflikten und höheren Transaktionskosten. Zudem haben Kontrollen einen Einfluss auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter: Mitarbeiter sind unzufriedener, wenn strenge Kontrollen im Unternehmen herrschen (Abbildung 1). Eine Auswertung des sozio-ökonomischen Panels (SOEP, 2014) zeigt umgekehrt, dass mehr Vertrauen mit weniger Konflikten mit Vorgesetzten einhergeht – und damit insgesamt bessere Bedingungen am Arbeitsplatz herrschen. Lediglich 13 Prozent der Arbeitnehmer, die keinen strengen Kontrollen ausgesetzt sind, berichten von Ärger oder Konflikten mit ihren Vorgesetzten. Gibt es hingegen im Unternehmen strenge Regulierungen und Kontrollen, steigt das Konfliktpotenzial: 32 Prozent der Arbeitnehmer – also mehr als doppelt so viele – haben Konflikte mit der Führungskraft. Es ist zwar denkbar, dass die Konflikte bereits bestanden, bevor die Kontrollen eingeführt wurden. Allerdings könnte dies auch ein Hinweis auf einen sich selbst verstärkenden Zirkel aus Kontrollen, Konflikten, Misstrauen, Unzufriedenheit und Leistungsdefiziten sein. Denn auch die Arbeitszufriedenheit leidet unter Kontrollen: Weniger als die Hälfte der Arbeitnehmer ist mit ihrer Arbeit zufrieden, wenn sie strengen Kontrollen ausgesetzt sind.

 

 

Ein leistungssteigernder Effekt auf das Arbeitstempo der Mitarbeiter durch Kontrollen der Führungskraft ist nicht belegbar. Hingegen senkt Vertrauen die Transaktionskosten nahezu aller Arten von Geschäften – insbesondere auch zwischen Mitarbeiter und Führungskraft. Jeder Vertragsabschluss ist in der Regel von Unsicherheit über die Handlungen des Partners begleitet, da sie nicht alle vertraglich abgesichert werden können. Durch das Vertrauen in den Handelspartner, den Mitarbeiter oder die Führungskraft und durch positive Reziprozität wird entgegengebrachtes Vertrauen zurückgegeben. Die Realität sieht oft jedoch anders aus und Misstrauen in Mitarbeiter stört eine vertrauensvolle und effiziente Zusammenarbeit.

Für die Personalrekrutierung und besonders die Etablierung einer Vertrauenskultur im Unternehmen, ist das hilfreich zu wissen. Du kannst Menschen das nötige Vertrauen schenken und Vorteile aus einer funktionierenden Vertrauenskultur erwarten. Gerade bei der Rekrutierung und Personalauswahl solltest du daher auf Eigenschaften wie Vertrauenswürdigkeit achten und nicht nur versuchen, die „Besten“ einzustellen. Außerdem ist auch das kulturelle Umfeld entscheidend – nur wenn eine Gesellschaft insgesamt ein hohes Sozialkapital aufweist, lohnt sich auch Vertrauen. Die gute Nachricht ist: Fast alle westlichen Gesellschaften haben ein hohes Sozialkapital.

Die Etablierung einer Vertrauenskultur können Unternehmen vielfältige Wettbewerbsvorteile erwarten. Die authentische Kombination aus Integrität und Compliance, gelebt als wertschätzenden Kontrolle zeichnet die Führungskraft neuen Typs aus. Stellt sich die Frage: Welche Schritte kannst du konkret in Angriff nehmen, um eine Vertrauenskultur zu schaffen und zu stärken?

Eine Vertrauenskultur etablieren

Die Initiative liegt bei den Führungskräften: Sofern sie im ersten Schritt nicht vertrauen, haben Mitarbeiter keine Gelegenheit, ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis zu stellen. Es ergibt sich ein Teufelskreis aus Misstrauen, mehr Kontrolle und geringerer Arbeitszufriedenheit. Diesen Kreislauf sollten Unternehmen durch eine Vertrauenskultur durchbrechen. Hierbei geht es nicht um blindes Vertrauen, denn die vielen Wirtschaftsskandale, das über den Tisch ziehen von Verbrauchern bei Geschäftsabschlüssen – insbesondere in der Finanzbranche – hat zu Recht das Vertrauen erschüttert. Dieses muss erst einmal wieder aufgebaut werden.

Auch wenn Kontrollen nicht per se negativ sind, kommt es auf die Art und Weise der Umsetzung an. Zum Beispiel bietet eine wertschätzende Kontrolle durch die Führungskraft – durch Vorbildfunktion, persönliche Rücksprachen oder Team-Anreize – die kooperatives Verhalten unterstützen – eine Möglichkeit, regelkonformes Verhalten ohne direkte Kontrollen zu fördern.

Aber statt mit unzähligen Compliance-Regeln die Mitarbeiter zu maßregeln, mit seitenweisen Informationen zu Produkten Fehlverhalten und Betrug (vielfach nur scheinbar) zu unterbinden, sollten Unternehmen zur „wertschätzenden Kontrolle“ übergehen. Mit anderen Worten: Zunächst den Mitarbeitern vertrauen, dann die Ergebnisse im Rahmen der Führungsarbeit gemeinsam durchgehen und zum Beispiel die Geschäftsabschlüsse loben. Vielen Führungskräften ist diese Art der Führung zu anstrengend und sie verstecken sich lieber hinter Compliance-Regeln und Excel-Tabellen und schaffen Standards für alle, um nicht differenzieren zu müssen. Allerdings braucht es für diese Art der rein Compliance-orientierten Führung, die auf Excel-Tabellen, KPIs und Regeln basiert, letztlich keine menschlichen Führungskräfte mehr, sondern nur intelligente Computerprogramme.

 

Prof. Dr. Dominik H. Enste hat nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Köln, Dublin und Fairfax (Virginia) studiert (Diplom) und zu wirtschaftsethischen Themen promoviert (Dr. rer. pol). Nach einigen Jahren in der Finanz- und Versicherungsbranche wechselte er 2003 zum Institut der deutschen Wirtschaft Köln und ist seit 2011 dort Leiter des Kompetenzfeldes Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik. Seit 2012 ist er außerdem Geschäftsführer der IW Akademie GmbH und zugleich seit 2013 Professor für Wirtschaftsethik und Institutionenökonomik an der Technischen Hochschule Köln und Dozent an der Universität zu Köln.