Gesellschaft

2.250 Euro für jeden – Wer arbeitet dann noch?

An diesem Sonntag stimmen die Schweizer über ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von umgerechnet 2.250 Euro ab. Auch in Deutschland hat die Idee viele Anhänger – doch ist ein solches bedingungsloses Grundeinkommen überhaupt umsetzbar? Und wie beeinflusst es unsere soziale Norm, zu arbeiten?

Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland kommen aus den verschiedensten Reihen: Unternehmer wie der dm-Chef Götz Werner, CDU-Politiker wie der frühere Ministerpräsident Thüringens Dieter Althaus und auch die SPD, Linke und Grüne haben eigene Grundeinkommensvorschläge ausgearbeitet. Die Modelle selbst, aber auch die Ziele, die durch das bedingungslose Grundeinkommen verfolgt werden, unterscheiden sich: Selbstverwirklichung, Bürokratieabbau, Arbeitsmarktflexibilisierung oder Erhöhung der Arbeitsanreize. Zudem soll das bedingungslose Grundeinkommen die Probleme unseres Sozialstaats lösen wie beispielsweise den Arbeitsplatzabbau durch die Digitalisierung oder das umlagefinanzierte Rentensystem, das aufgrund des demografischen Wandels gefährdet ist.

Eine Frage, die sich im Zusammenhang mit dem bedingungslosen Grundeinkommen stellt und eine immense Bedeutung hat, ist die nach der Arbeitsmotivation: Was passiert, wenn die Menschen ihr Gehalt nicht mehr erst am Ende des Monats nach getaner Arbeit erhalten, sondern jeden Monat einen festen Betrag bekommen – egal, ob sie arbeiten oder nicht?


Lotteriegewinner würden weiterarbeiten

Eine Umfrage der Forsa (2012) im Auftrag von Westlotto zeigt: Nur 25 Prozent aller Frauen und ein Drittel der befragten Männer würden ihren Beruf an den Nagel hängen, wenn sie 10 Millionen Euro im Lotto gewännen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie des GfK Vereins und der Bertelsmann Stiftung (2015). In der Umfrage gaben 55 Prozent der Befragten an, auch bei einem sehr hohen Geldgewinn weiterzuarbeiten. Das bedeutet, dass der Großteil der Befragten weiter arbeiten gehen würde, obwohl sie mit einem Lottogewinn finanziell für den Rest ihres Lebens abgesichert wären. Doch warum gehen Menschen freiwillig arbeiten und verbringen ihre Zeit nicht lieber anders? Es liegt der Schluss nahe, dass nicht allein das Geld Menschen zur Arbeit motiviert.

Neben dem Gehalt, das man monatlich erhält, macht Arbeiten an sich schon glücklich. Enste und Ewers (2014) zeigen, dass die Partizipation am Arbeitsmarkt einen entscheidenden Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat. So sind Menschen, die einer regelmäßigen Arbeit nachgehen, zufriedener mit ihrem Leben als Arbeitslose. Die Arbeit schafft für die Beschäftigten eine Alltagsstruktur, steigert ihr Selbstbewusstsein und bietet ihnen die Möglichkeit, soziale Kontakte zu knüpfen. Dies sind ebenfalls Gründe, die Menschen motivieren, zu arbeiten.


Auf die soziale Arbeitsnorm kommt es an

Stavrova et al. (2011) finden ebenfalls heraus, dass Arbeitslose unglücklicher sind als Beschäftigte, doch die Lebenszufriedenheit von Arbeitslosen ist nicht in allen Ländern gleich. In einer Studie, in der die Daten von 28 OECD-Ländern analysiert werden, zeigen sie, dass nicht ausschließlich das Bruttoinlandsprodukt oder die Höhe des Arbeitslosengelds die unterschiedliche Lebenszufriedenheit in den Ländern erklärt, sondern auch die herrschende soziale Arbeitsnorm. Diese beschreibt die in einer Gesellschaft verankerte soziale Norm, arbeiten zu gehen und nicht der Gesellschaft zur Last zu fallen. Soziale Normen spiegeln somit die Erwartungen der Gesellschaft an das Verhalten von Individuen wider. Die Abbildung veranschaulicht, dass in Ländern mit einer stark ausgeprägten sozialen Arbeitsnorm die Lebenszufriedenheit von Arbeitslosen geringer ist als in Ländern mit einer weniger stark ausgeprägten sozialen Arbeitsnorm. Andersherum bedeutet das, dass in Ländern mit einer schwacheren sozialen Arbeitsnorm Arbeitslose im Durchschnitt glücklicher sind.

Abbildung

 


***Signifikanz auf dem 1-Prozent-Fehlerniveau

1) Soziale Arbeitsnorm auf einer Skala von 1 (schwache soziale Arbeitsnorm) bis 5 (starke soziale Arbeitsnorm), Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden), Werte für 28 OECD-Länder in den Jahren von 1999 bis 2009, teilweise mehrere Erhebungen pro Land.

Quellen: Stavrova et al., 2011; eigene Berechnung

Die soziale Norm der Arbeitsmoral kann auch den Unterschied zwischen Lotteriegewinnern und Empfängern eines bedingungslosen Grundeinkommens erklären. Lotteriegewinner werden auch nach ihrem Gewinn eher weiterarbeiten, da die Gesellschaft und die verankerten Normen sich durch ihren Lotteriegewinn nicht verändern. Die soziale Norm, zu arbeiten, bleibt bestehen und ein Lotteriegewinner würde sie daher nicht in Frage stellen. Auf der anderen Seite wäre jeder ein Empfänger des Grundeinkommens. Es lässt sich nur erahnen, was mit der Arbeitsnorm geschehen würde, wenn aufgrund des bedingungslosen Grundeinkommens immer mehr Menschen die Ansicht teilen würden, auf Kosten der anderen zu leben. Die Arbeitsmoral und der Grundsatz der Selbstversorgung könnten erodieren. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist daher ein gefährliches Experiment. Je nach Abstimmungsergebnis am 5. Juni bietet die Schweiz dafür womöglich bald eine Grundlage für ein Feldexperiment – mit ungeahnten Folgen für eines der reichsten Länder der Welt.

Quellen:


Enste, Dominik / Ewers, Mara, 2014, Lebenszufriedenheit in Deutschland: Entwicklung und Einflussfaktoren, IW-Trends, Nr. 2, Köln

Forsa, 2012, Repräsentative forsa-Umfrage im Auftrag von WestLotto. 10 Millionen Euro Lottogewinn: Männer würden eher ihren Job kündigen als Frauen [25.5.2016]

GfK Verein (Hrsg.) / Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), 2015, Bedeutung der Arbeit, Ergebnisse der Befragung

Stavrova, Olga / Schlösser, Thomas / Fetchenhauer, Detlef, 2011, Are the unemployed equally unhappy all around the world? The role of the social norms to work and welfare state provision in 28 OECD countries, in: Journal of Economic Psychology, 32. Jg., Nr. 1, S. 159–171

 

Regina hat Economics and Psychology an der Universität Panthéon-Sorbonne in Paris studiert und arbeitet seit 2015 als Researcher in der IW Akademie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Verhaltensökonomik und Wirtschaftspsychologie. Sie interessiert sich vor allem für die psychologischen Aspekte wirtschaftlichen Entscheidens und Handelns.